Darmstadt ist in der Theorie gut aufgestellt, wenn es um die Frage geht, wie man als Fußgänger oder Radfahrer durch eine Baustelle geführt wird. Die Stadt hat dazu einen eigenen Leitfaden herausgegeben. Auf 40 Seiten wird erläutert, wie man bei Baustellen im Seitenraum vorgeht, um den Rad- und Fußverkehr sicher abzuwickeln.
Der Leitfaden erklärt mit vielen anschaulichen Plänen die Grundsätze, wie man Notwege anlegt, worauf man achten muss und geht auf Details wie die Anrampung von Bordsteinen ein. Der Leitfaden liest sich ganz ausgezeichnet und schließt damit ab, dass man die Umsetzung der Verkehrszeichenpläne vor Ort überprüfen sollte.
In der Praxis passiert so gut wie nichts davon. Bringt man Mängel bei der Stadtverwaltung vor, erhält man in der Regel keinerlei Antwort. Wie ich allerdings immer wieder feststelle, wird jede E-Mail gelesen, die man an die Stadt richtet. Fragt man dann nach, warum man keine Antworten erhält, wird regelmäßig auf Personalmangel verwiesen und dass es sehr schwierig sei, die Informationsflüsse von allen beteiligten Stellen zu bündeln und das Ergebnis dem Bürger mitzuteilen. Das mag nicht ganz falsch sein, aber es ist vermutlich auch Teil der Wahrheit, dass man sich sehr schwer damit tut, Fehler einzugestehen. Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Wo Fehler passieren, geraten Fußgänger und Radfahrer schnell in besondere Gefahren. Ganz nebenbei braucht man sich auch langfristig nicht zu wundern, wenn Verkehrsteilnehmer die Regeln nicht ernst nehmen, wenn die Verwaltung diese nur sehr zaghaft umsetzt.
Ich bin mittlerweile in einem ganz guten Rhythmus angelangt. Sehe ich eine schlechte Baustelle, mache ich ein Foto mit der Allzweckwaffe (Smartphone), tippe drei Zeilen dazu und schicke es noch an Ort und Stelle an die Verwaltung.
Ein gutes Beispiel ist hier die Baustelle auf der Landgraf-Georg-Straße, die aktuell auf Höhe der Merckstraße eingerichtet ist.
Die Landgraf-Georg-Straße ist die als B 26 klassifizierte Ortsdurchfahrt von Osten und von Grundstückskante zu Grundstückskante etwa 25 m breit. An manchen Stellen ist sie nochmal erheblich aufgeweitet, um die Gehwege, schmale Radwege (ohne Benutzungspflicht und mit miserablem Asphaltbelag), vier Fahrstreifen für Kraftfahrzeuge, zwei Busspuren und zum Teil noch Parken auf der Fahrbahn aufzunehmen. Auf einer solchen Achse ist es offensichtlich, dass Fußgänger und Radfahrer besonderen Schutz brauchen.
Aber nicht offensichtlich genug für die Stadtverwaltung oder den Bauherren, der dort an einem Verteilerkasten und unter dem Gehweg arbeitet. In einer ersten Iteration sah die Baustelle so aus. Das Bild hat mir ein Freund zugeschickt:
Landgraf-Georg-Straße, 27. November 2017
Der eigentliche Gehweg war vollständig gesperrt, Fußgänger und Radfahrer sollten sich etwa 1,40 m teilen und Radfahrer verpflichtet werden, durch diese Engstelle zu fahren. Der Radweg hat dort seit Jahren keine Benutzungspflicht mehr und wurde durch das Zeichen 240 („gemeinsamer Geh- und Radweg“) wieder benutzungspflichtig gemacht. Was für ein Unsinn, Radfahrer rechtlich gesehen in eine Engestelle inkl. Fußgänger zu lenken, wenn mehr als 6 m Fahrbahn mit zwei Fahrstreifen bergab genutzt werden können.
Ich habe mich daraufhin an die Stadt gewendet und keine Antwort auf meine E-Mail erhalten. Ein paar Tage später war die Baustelle weg und ich habe den Fall für mich abgehakt.
Am 12. Dezember ist die Baustelle dann wieder aufgetaucht, allerdings diesmal ohne Zeichen 240.
Landgraf-Georg-Straße, 12. Dezember 2017
Die Situation mag auf den ersten Blick gleich wirken, hat nun aber ganz andere Bedeutung. Der Radweg ist ja ohne Benutzungspflicht, dennoch ist er ein Sonderweg für Radfahrende. Man darf dort z.B. nicht laufen oder parken. Für regeltreue Fußgänger wäre hier also Schluss, in der Realität laufen sie dann natürlich auf dem Radweg weiter und bringen sich und den nachfolgenden Radverkehr in Gefahr, weil man wiedermal nicht an Leute mit zwei Beinen, sondern nur an welche mit vier Rädern gedacht hat.
Jetzt reichte mir das Schlamassel endgültig und ich habe wieder eine kurze Mail an die Stadt geschrieben, aber diesmal explizit auf ihren eigenen Leitfaden hingewiesen und einen Notweg gefordert.
Heute sieht es jetzt so aus: Die Baustelle wird rechtzeitig angekündigt und dem Kfz-Verkehr ein Fahrstreifen weggenommen.
Landgraf-Georg-Straße, 19. Dezember 2017
Unmittelbar vorm Einfädeln schützt eine unübersehbare beleuchtete Warntafel auf einem Anhänger den Rad- und Fußverkehr.
Landgraf-Georg-Straße, 19. Dezember 2017
Der Fußverkehr kann vollkommen bequem durch die Baustelle laufen. Es ist etwas unklar, ob der Weg auch für Radfahrende gedacht ist. Manche fahren durch, andere fahren außenrum.
Landgraf-Georg-Straße, 19. Dezember 2017
Am Ende geht es wieder auf den Bordstein hoch, die Kante lässt sich mit Kinderwagen, Rollstuhl und ggf. Fahrrad ohne Absteigen überwinden.
Landgraf-Georg-Straße, 19. Dezember 2017
Die Stadt Darmstadt kann, wenn sie will. Nur will sie nicht immer oder hat Wichtigeres zu tun. Naja, dann mache ich ihr weiter Druck.
Manchmal werde ich gefragt, ob ich zu viel Zeit hätte. Nein, eigentlich habe ich wirklich schönere Dinge im Leben vor. Aber dieses Leben kann schnell zu Ende sein, wenn man der Stadt ihre Schlamperei bei der Verkehrsführung durchgehen lässt.
Update: Es ist ein Zeitungsartikel im Darmstädter Echo erschienen. Das Schild im Pressefoto war von Seiten der Veranstalter nicht erwünscht und wurde von dem Teilnehmer leider erst weggepackt als das Foto bereits gemacht war.
Unfälle dieser Art können durch eine sichere Verkehrsführung vermieden werden. Wir halten deshalb am Freitag um 18:00 Uhr eine Mahnwache ab, um in aller Stille für eine Verbesserung der Situation zu demonstrieren.
Übers Wochenende bin ich spontan nach Groningen gereist. Die nordniederländische Stadt hat rund 200 000 Einwohner und wird von einem vergleichsweise jungen Altersschnitt bewohnt. Rund ein Viertel der Einwohner studiert nämlich an der Reichsuniversität oder der Fachhochschule. Damit ist die Stadt dem 500 km entfernten Darmstadt recht ähnlich, wo auf 155 000 Einwohner über 40 000 Studierende kommen.
Schaut man allerdings genauer hin, fällt auf, dass die historische Altstadt Groningens noch gut erhalten ist, während in Darmstadt im zweiten Weltkrieg nahezu jedes Gebäude der Innenstadt zerstört wurde und der Wiederaufbau bei weitem nicht so kleinteilig erfolgte.
Der gewaltigste Unterschied ist allerdings, welchen Stellenwert das Fahrrad als Verkehrsträger hat. Der zuständige Dezernent Paul de Rook findet, dass der heutige Anteil von 60 % noch erheblich gesteigert werden müsse. Bei Visionen und Zielen scheint es in der Politik viel stärker auf den jeweiligen Ausgangspunkt als auf absolute Werte anzukommen.
Für mich ist der hohe Radverkehrsanteil nicht auf einen kulturellen Unterschied zurückzuführen, sondern schlicht das Ergebnis kluger Verkehrsplanung. Zum einen werden in Groningen viele Straßen in der Innenstadt dem Kraftverkehr nicht zugänglich gemacht und gleichzeitig an jeder größeren Straße eine ausgezeichnete Führung für den Radverkehr angeboten. Ein Zweiklang aus Verboten und Einladungen führt zum Ziel, manche sagen auch push and pull.
Baulich angelegte Radwege
Groningen setzt an den Hauptverkehrsstraßen auf baulich angelegte Radwege. Häufig gibt es je einen Weg pro Fahrtrichtung. Die Wege sind immer so breit ausgeführt, dass man problemlos einander überholen kann oder bei geringem Radverkehrsaufkommen gemütlich nebeneinander herfährt, wenn man sich unterhalten möchte. Selbst dann ist vorsichtiges Überholen an vielen Stellen möglich, es passen also auch mal drei Radler nebeneinander, wenn es sein muss.
An manchen Stellen gibt es auf einer Straßenseite auch einen Zweirichtungsradweg. Dieser wird dann meist mit einem Einrichtungsradweg auf der anderen Straßenseite ergänzt. So ergeben sich für den Radverkehr viele praktische Verknüpfungen und man trifft keine Geisterradler. Vermutlich wurde an vielen Stellen das tatsächliche Verkehrsgeschehen beobachtet und wo möglich in legale Formen umgewandelt.
In Deutschland sind Zweirichtungsradwege stark umstritten, da man ein erhöhtes Unfallrisiko an Knotenpunkten registriert. Vor allem an Grundstücksfahrten achten Verkehrsteilnehmer im Auto verstärkt auf den Radverkehr zu ihrer Linken und übersehen schnell den von rechts kreuzenden Radverkehr. In der Niederlanden scheint dieses Problem nicht so stark aufzutreten. Es könnte daran liegen, dass die Grundstücksausfahrten in der Regel so angelegt sind, dass man mit dem Auto nicht auf dem Radweg zum Stehen kommt, sich also in Ruhe nach beiden Seiten umschauen kann, ohne jemanden zu behindern. Außerdem werden die meisten Straßen für deutsche Verhältnisse vergleichsweise langsam befahren und so kommt auch keine Eile auf, wenn man gleichzeitig auf eine ausreichend große Lücke im Rad- als auch im Kraftverkehr wartet.
Die Radwege sind in aller Regel asphaltiert und durchgängig rot eingefärbt. Prof. Ineke Spapé von der NHTV Breda beschrieb die rote Einfärbung auf dem 2. Hessischen Nahmobilitätskongress so, dass man selbst als Betrunkener leicht erkennt, wo man Radfahren soll bzw. wo man mit Radfahrern rechnen muss. Eine sehr treffende und nah an der Realität laufende Einschätzung. Die Infrastruktur ist also so leicht zu erfassen, dass sie Unzulänglichkeiten der Nutzer ein Stück weit ausgleicht. Natürlich soll dies keine Einladung sein, under the influence zu fahren, aber der Punkt wird, denke ich, klar.
Die Radwege sind vom Fußverkehr immer über einen Bordstein getrennt. Manchmal hat dieser wie in Deutschland einen 90°-Winkel, an manchen Stellen ist es auch eine kleine Rampe unter 45°. Die Fußgänger laufen entsprechend erhöht über dem Radverkehr. Auch dies hat nach Spapé mit Respekt zu tun. Niemand hat Lust, von Radfahrern weggeklingelt zu werden und als Radfahrer hat man ebenso keine Freude am Fahren, wenn man ständig andere umkurven muss. Die Radwege sind in Groningen in den allermeisten Fällen auf dem selben Niveau wie die Fahrbahn, das macht die Führung an abgesenkten Bordsteinen nicht zur Berg-und-Tal-Fahrt und schafft nebenei die nötige Aufmerksamkeit für alle beteiligten. Fußgänger bleiben instinktiv stehen, wenn sie an eine Stufe gelangen und neigen nicht dazu, aus Versehen auf den Fahrradweg zu mäandern. Eine Linie ist hingegen schnell auch unbemerkt geschnitten.
Auf der anderen Seite ist der Radweg wieder mit einem Bordstein begrenzt. Dieser fasst den Sicherheitstrennstreifen zum Kraftverkehr ein. Manchmal ist dieser Trennstreifen recht schmal, ein anderes Mal begrünt. Da man sich also zwischen zwei Bordsteinen befindet, ist es enorm wichtig, dass der Weg wie beschrieben breit genug ist, dass man leicht und sicher überholen kann. Jeder Radfahrer hat nach Tagesform und davon abhängig, ob er alleine oder in der Gruppe unterwegs ist, eine andere Idealgeschwindigkeit und keiner muss dem anderen ungeduldig hinterher fahren oder sich unter Druck setzen lassen.
Hier kommt wieder ein entscheidender Unterschied zu Deutschland zu Tage. Hierzulande wird das Minimalmaß von 1,50 m (Rdnr. 18ff. VwV-StVO) häufig als Regelmaß missverstanden und stellenweise sogar noch unterschritten. Dazu kommt die lebensferne Vorgabe: „Mit Fahrrädern muss einzeln hintereinander gefahren werden“ (§ 2 Abs. 4 S. 1 StVO).
Ist das Autoparken neben Radwegen erlaubt, stehen die Autos in der Regel links vom Radweg. Das hat mehrere Vorteile. Die stehenden Autos bilden einen zusätzlichen Puffer gegen den Kraftverkehr. Man fühlt sich sicherer. Ich finde es wichtig, auf die subjektive Sicherheit einzugehen, weil diese ja entscheidet, ob man sich selbst aufs Rad traut. In Deutschland wird gelegentlich recht abschätzig nur auf die objektive Sicherheit abgestellt und die Ängste der Nutzer kleingeredet. Fahr auf der Fahrbahn, mach vehicular cycling, da passiert dir nix! Stimmt, ist aber scheiße unangenehm. Macht meine Oma nicht, und wenn ich mal ein Kind habe, macht es das auch nicht, wenn es noch klein ist. Die Oma fährt aber in Groningen:
Zweitens gibt es so by design keine Standardsituation, in der ein ein- oder ausparkender Wagen den Radweg kreuzt. Man hat als Autofahrer ja auch nur zwei Augen und muss unter Umständen ein bisschen hin- und herlenken, da stören Radfahrer ungemein. Und es soll soll ja sogar Autofahrer geben, die auf einem Radweg halten und warten, bis ein Parkplatz frei wird oder der Beifahrer auftaucht, den man abholen will. Gerne auch mal 10 Minuten lang. Ist hier einfach baulich ausgeschlossen und dann kommt man auch auf keine dummen Ideen.
Der dritte wichtige Punkt ist, dass Autos immer mindestens einen Nutzer hinter dem Lenkrad haben, wenn sie gerade abgestellt oder gestartet werden. Dieser steigt dann logischerweise durch die Fahrertür auf der linken Fahrzeugseite ein und aus. Wird er auf den nachfolgenden Verkehr achten? Natürlich, er will ja seine Tür behalten. Und wie öffnet man in den Niederlanden eine Autotür, wenn man aussteigt? Man nutzt den Dutch reach. Dann passiert auch nichts, wenn die Führung doch mal so angelegt ist, dass Autos rechts von einem Schutzstreifen parken.
Hater werden jetzt noch einwenden, dass Beifahrer ja noch unaufmerksamer als Fahrer sind, vor allem wenn es um Kinder geht. Mag sein, aber bedenke: Die meisten Autos sind schwach besetzt, es gibt Kindersicherungen, es gibt Sicherheitstrennstreifen und die Radwege sind auch nicht so schmal, dass man sofort stirbt. Die Infrastruktur verzeiht hier einige Bedienfehler. Und ja, die Parkstreifen enden rechtzeitig vor der nächsten Kreuzung, Sichtbeziehung vorhanden.
Schutzstreifen
Manche Querschnitte erlauben es nicht, baulich abgetrennte Radwege anzulegen, wenn man den Kfz-Verkehr nicht völlig ausschließen oder nur in einer Richtung zulassen möchte. Hier kommen dann die genauso aus Deutschland bekannten Schutzstreifen zum Einsatz. Auch diese werden meist durchgängig rot eingefärbt. Sogar außerorts finden sich Schutzstreifen, die Kernfahrbahn wird dann in der Regel ohne weitere Linien ausgeführt. In Deutschland traut man sich an das Thema außerorts noch nicht wirklich heran, es gibt nur Modellversuche.
Schutzstreifen sollten meiner Meinung nach allerdings nur eingesetzt werden, wenn die Kfz-Verkehrsstärke gering und die Ausgestaltung der Straße durch ihren baulichen Gesamteindruck nicht dazu einlädt, mit dem Auto besonders schnell zu fahren. Andernfalls muss man sehen, wie man den Kraftverkehr beruhigt oder gerade außerorts eigene Radwege anlegen. Die Planung muss sich dabei immer an denen orientieren, die das Rad aus pragmatischen Gründen und nicht aus einer Ideologie heraus als Verkehrsmittel wählen. Wer sich auf einer Straße nicht sicher fühlt, wird diese meiden und wenn er häufig in subjektiv gefährliche Situationen kommt, das Radfahren ganz einstellen.
Schutzstreifen werden in einer Wohnstraße auch von Kindergruppen gerne angenommen und wenn nötig ein bisschen überdehnt. Passieren tut trotzdem nix.
Stadtstraßen ohne Autoverkehr
Abseits der getrennten Führung von Kraft- und Radverkehr nebeneinander, gibt es in Groningen auch Stadtstraßen, die abgesehen von Einsatzfahrzeugen und Stadtreinigung ganz ohne Kraftverkehr auskommen. Die Fußgänger haben herkömmliche Gehwege auf beiden Seiten, die Radfahrer nutzen die Fahrbahn alleine. Auch hier ist die Trennung wieder für die Bequemlichkeit auf beiden Seiten wichtig. Es sollte allerdings noch stellenweise mehr in Zonen zum Fahrradparken investiert werden, damit die eigentlich breiten Gehwege nicht durch die Fülle von Rädern verstellt werden.
Stadtstraßen mit Autoverkehr
Auf Stadtstraßen, auf denen schneller Autoverkehr unterwegs ist, aber auch Erschließungsfunktionen wichtig sind, wird manchmal auf einen eigenen Radweg verzichtet und sehr langsamer Autoverkehr im Seitenraum in den Radverkehr gemischt. Solange sich diese Führungsform in Grenzen hält und nicht überall so ist, ist auch das gut verträglich.
Manchmal sind es die Kleinigkeiten, bei denen man merkt, dass an alles gedacht wurde. Hier wird die Fahrbahn einer Nebenstraße weiter untergliedert.
Das sieht nicht nur schön aus, es hilft auch, den Autoverkehr zu verlangsamen, ohne den Radverkehr zu stören. Die Radfahrer fahren auf dem ebenen Pflaster ohne große Vibrationen. Ein Autofahrer, der seine Garage ansteuert, nimmt nicht eine Fahrbahn für sich alleine wahr, sondern vielmehr zwei Radwege, die durch das Kopfsteinpflaster getrennt sind und er auf diesen zu Gast ist. Die Gestaltung erinnert auch an einen Feldweg und auf dem fährt man ja schon aus Eigennutz langsam.
Radschnellwege
Ebenso selbstverständlich sind Radverkehrsanlagen, die wir in Deutschland als Radschnellwege klassifizieren würden. Wie immer asphaltiert und rot eingefärbt verbinden sie ohne weitere Verkehrsarten die Vororte mit der Kernstadt und werden allenfalls von Gehwegen ergänzt. Die Strecken sind beleuchtet und an Knotenpunkten mit Vorrang geführt. Kleine Details wie Drive-by-Mülleimer zaubern dem Pendler, der seinen Kaffee ganz unökologisch aus einem Einwegbecher während der Fahrt trinkt, und den nun wieder loswerden muss, ein Lächeln aufs Gesicht, bevor es an die Arbeit geht.
Damit Radfahrer auch an ihrer eigene Verantwortung erinnert werden, dämpft man die Geschwindigkeit am Knoten trotzdem gelegentlich ein bisschen herunter. Diese Rampenfolge lässt sich mit 15 km/h noch bequem fahren.
Absurde Querschnitte im Park
Einen kurzen Moment wollte ich meinen Augen nicht trauen. Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass man in einen Park derart breite Fahrradstraßen bauen kann, ohne dass die Parkqualität leidet. Im Gegenteil: Langsames Flanieren und schnelles Fahren und Spielen und was es sonst so gibt, das geht auch alles zusammen:
Natürlich bekommen auch die Fußgänger wieder eigene Wege angeboten. Das Trennungsprinzip ist wie überall stark ausgeprägt.
Knotenpunkte
Neben den Strecken sind die Knoten enorm wichtig, um Radfahren einfach, bequem und sicher zu machen. Es gibt verschiedene Führungsformen, ich fange mit den Langweiligen an.
Zum Standardrepertoire gehören die auch in Deutschland bekannten aufgeweiteten Aufstellflächen an Knoten mit Lichtsignalanlage (Ampel). Meistens kommen diese in Verbindung mit Schutzstreifen zum Einsatz und dienen wie immer dazu, den Radverkehr beim Warten an die erste Stelle zu rücken, das Linksabbiegen zu vereinfachen und die ganze Gruppe aus den Abgasfahnen heraus und in den Sichtbereich der Rechtsabbieger-Kfz zu bringen.
Freies Rechtssabiegen
Es sind im wesentlichen zwei verschiedene Arten von freien Rechtsabbiegern für Radfahrer in Groningen zu finden. Da, wo der Platz ausreicht, trennt sich der Radweg in einen freien Rechtsabbieger, der allenfalls auf Fußgänger achten muss und eine gewöhnliche Haltlinie mit Signalgeber für geradeaus.
Wo man nicht genügend Raum für die Musterlösung hatte, wird das Rechtsabbiegen per Zusatzzeichen angeboten.
In beiden Fällen kann man das machen, wofür man in Deutschland regelmäßig hysterisches Hupen aus dem Auto neben/hinter einem oder einen Punkt in Flensburg erntet, wenn die Rennleitung zugegen ist. Da rechts abzubiegen, wo es die Verkehrslage ohne Probleme erlaubt und die Straßenverkehrsbehörden noch keine eigenen Signalgeber mit Grünpfeil für Radfahrer aufstellen.
Rundumgrün
Rundum-was? Grün für alle Radler aus allen Richtungen gleichzeitig! Mal schnell diagonal über die Kreuzung fahren oder geradeaus oder rechts oder U-Turn. Die Kreuzung gehört für einen kurzen Moment den Radfahren alleine. Das macht Laune und ist trotzdem sehr sicher. Einziger Nachteil: Man muss gelegentlich länger warten, weil natürlich auch die anderen Fahrbeziehungen eigene Zeiten brauchen. Doch wie lange genau? Ein Blick auf das gelbe Stäbchen, das immer kürzer wird, genügt. Und ich glaube, die Niederländer machen es mit Absicht so, dass es sogar einen Moment früher grün wird als erwartet. Ist der Streifen im unteren Achtel angekommen, verschwindet er plötzlich und es ist grün. So braucht keiner ungeduldig zu werden, um mit „quietschenden Laufrädern“ loszudüsen.
Planfreie Querungen
In Groningen gibt es planfreie Querungen von Autobahnen und ähnlich ausgebauten Straßen. Ganz easy, in der selben Ebene wie vorher und mit Sichtbeziehung zum anderen Ende des Tunnels. Die Kraftfahrzeuge fahren die Steigung und das Gefälle, die eigenen Oberschenkel werden geschont. Auch mal zwei Querungen mit leicht unterschiedlichen Zielen, damit man keine komischen Haken schlagen muss. Danke dafür!
Kreisverkehre
In Deutschland sind Schutzstreifen im Kreisverkehr des Teufels. In den Niederlanden macht man es und es funktioniert.
Man baut aber trotzdem viel lieber eigene Radwege um den Kreisverkehr herum, vor allem wenn dieser nur drei Arme hat, kann man an der freien Seite wunderbar einen Weg vorbei führen, der sowieso schon in zwei Richtungen unterwegs war.
Ach ja, man macht sogar stellenweise Zweirichtungsverkehr unmittelbar am Kreisverkehr, der einen Arm kreuzt.
Vorgestreckte Gehwege
Fußgänger sollen gerade in der Innenstadt durchgängig gehen können. Es wäre ja schon komisch, wenn man an jeder unbedeutenden Nebenstraße hunderte Fußgänger pro Stunde eine Stufe runter und wieder hochgehen zu lassen. Also zieht man die Gehwege einfach weiter und ordnet den Kraftverkehr unter, wenn es denn überhaupt welchen gibt.
Knoten im Allgemeinen
Mir fällt auf, dass es wirklich eine Vielzahl von Knotentypen gibt. Mal hat der Radverkehr Vorrang, ein anderes Mal der Kfz-Verkehr. Es gibt sogar Situationen, wo der Radverkehr auf dem Papier keinen Vorrang hat, aber direkt neben ihm ein Zebrastreifen entlang geführt wird, was wirklich ein bisschen komisch ist.
Aber: es funktioniert. Ich bin alle Konten gefahren und es hat immer gut geklappt. Denn entscheidender als die Vorfahrt sind die Sichtbeziehungen und die gegenseitige Wahrnehmung. Und die bekommt man über zwei bis drei Grundregeln.
Kreuzungspunkte laufen quasi immer in einem Winkel von 90° aufeinander zu, man hat perfekte Sicht in alle Richtungen, egal ob man im Auto sitzt oder auf dem Rad. Die Vorfahrtregel wird durch Markierungen auf der Fahrbahn unterstrichen und weil Radwege per default rot sind, sind sie es auch bei (bevorrechtigter) Querung über den Konten drüber.
In Deutschland steigt der Adrenalinspiegel dagegen an jeder zweiten Grundstücksausfahrt oder wenn man einfach nur gerade aus will und einen LKW neben sich hat, der ja doch noch auf die Idee kommen könnte, nach rechts zu ziehen.
Protected Intersection
Neben den vielen Details muss ich noch auf eine weitere Sache eingehen. Abbiegeradien werden für Kfz mit kleinen, man könnte sagen mandelförmigen erhabenen Elementen so verändert, dass man quasi zwangsläufig langsam um die Kurve fahren muss, den Radler nicht schneiden kann und ihm dann schließlich wieder unter 90° begegnet.
Details
Ebenso ist mir aufgefallen, wie das Ende eines Fahrstreifens für Kfz ausgearbeitet wurde:
Die kleine gesperrte Fläche am Ende verzeiht eine kurze Unachtsamkeit und ersetzt ein bauliches Element, um auch größeren Fahrzeugen bei Bedarf das Abbiegen in und aus dem Grundstück zu ermöglichen.
Querungen von Gewässern
In den Niederlanden gibt es eine Menge verschiedener Gewässer und diese stellen Trotzdem kein großes Hindernis für den Radverkehr da. Wie bei den regulären Strecken gibt es verschiedene Formen von Brücken mit getrennter Radverkehrsführung, manchmal mit Schutzstreifen. Besonders cool finde ich die Idee, den Fußgängern an dieser Drehbrücke zusätzlich auf jeder Straßenseite eine eigene höher gelegene Verbindung anzubieten, die bei der Durchfahrt gewöhnlicher Schiffe nicht unterbrochen werden muss. Für ganz eilige Radfahrer gibt es Schieberinnen, die ihr Rad dann schnell auf die andere Seite schieben können. Meistens ist man dafür aber zu entspannt bei der Sache, wartet lieber ab und schaut den Schiffen zu.
Fahrradparken
Es erstaunt mich immer wieder, dass in den Niederlanden genauso wie in Kopenhagen noch recht viele Felgenklemmer im Einsatz sind. In Deutschland scheint man da an einigen Stellen schon weiter zu sein. Jedenfalls stehen an meiner Uni wie auch an vielen Punkten in Darmstadt mittlerweile wirklich gute Bügel, an denen man den Rahmen anschließen kann. Gute Abstellanlagen sind die Kirsche auf der Sahne. Man darf allerdings nicht vergessen, dass Kuchen auch ohne Topping schmeckt. Und der Kuchen, das sind die Strecken und die Knoten, die ich zuvor beschrieben habe. Wenn man kein Stück vom Kuchen abbekommt, sehen zwar die Abstellanlagen schick aus, die man für vergleichsweise wenig Geld schnell in einer Stadt bringen kann, den Radverkehr bekommt man damit nicht richtig aufgebaut. Denn: im Zweifel parkt man sein Rad da, wo Platz ist.
Und wenn der Platz beschränkt ist?
Dann baut man in Groningen ein Fahrradparkenhaus der Extraklasse vor den Hauptbahnhof.
Doppelstock? Klaro. Beleuchtet? Jupp. Bewacht? Natürlich. Beim Reinfahren absteigen? Ich bitte dich. Kleiner „Kreisverkehr“ in der Mitte? Ein bisschen Spaß muss sein.
Was kostet das den Nutzer? Nix!
In Darmstadt? Vom Grundsatz her auch super, mit großem kostenlosen Parkfeld draußen und kostenpflichtigem überdachten Parkhaus mit unmittelbaren Zugang zum Gleis. Leider ist dieser Zugang in letzter Zeit dauerhaft offen und die zahlenden Nutzer laufen weg. Das Vertrauen muss man sich hier noch neu verdienen.
Kraftverkehr in Groningen
Eigentlich könnte man mit dem Bericht fast schon aufhören, aber da wäre noch eine Sache. Ich habe eingangs erwähnt, dass man eine Fahrradstadt aus zwei Komponenten baut, den Einladungen für die Radfahrer und den Verboten für den Kraftverkehr.
Verbot Nr. 1: Parken im Allgemeinen einschränken
Es gibt sehr wenige Parkplätze in der Innenstadt. Das macht es schon mal ziemlich sinnlos, in diese mit dem Auto zu fahren.
Verbot Nr. 2: Kostenloses Parken abschaffen
Die meisten Parkplätze sind bewirtschaftet, da wird Parken ein teurer Spaß. Und die Verkehrsüberwachung ist auf dem Rad unterwegs, findet also jeden Wagen ohne Parkschein.
Verbot Nr. 3: Straßen sperren
Viele Straßen sind für den individuellen Kraftverkehr gesperrt. Keine Straße, kein Verkehr. Ganz einfach.
Verbot Nr. 4: Zwischen den Sektoren fahren
Um von einem Stadtviertel in ein anderes zu gelangen, muss man mit dem Auto über den Ring fahren. Das dauert. Das nervt. Case closed.
Denkt auch jemand an den Einzelhandel?
Lieferzonen? Vorhanden.
Lieferzeiten beschränkt? Ja, danke!
Aber die Stadt stirbt doch, wenn keiner mehr reinfahren kann. Ja, Gronigen ist tot. Läden alle pleite.
Warum? Weil konsequent sichere Radinfrastruktur gebaut wurde. Es gibt hier keinen Unterschied in der Kultur. Es ist schlicht billiger, zuverlässiger, schneller und gesünder, mit dem Fahrrad zu fahren. Also machen es die Leute, sobald man ihnen richtige Wege anbietet. Separiert von Auto- und Fußverkehr, mit glattem Belag, breit genug um einander zu überholen und mit eindeutiger Führung an jeder Kreuzung, deren Ampelschaltung zügig zwischen den Phasen wechselt.
Die dortige Stadtverwaltung hat erkannt, dass Radwege bei weitem günstiger als andere Modalitäten sind. Um es ganz deutlich zu machen: Die Investitionen der letzten zwölf Jahre in den Radverkehr waren günstiger als eine einzige Umgehungsstraße im Norden der Stadt.
Sicher herausragend sind die Brücken Cykelslangen und Bryggebroen, aber auch die ganz normalen Wege in der Stadt sind in einem sehr guten Ausbauzustand und überall da, wo man den Bord überwinden möchte, gibt es kleine Rampen:
Dieses Detail hat mir bei meinem Besuch im September am besten gefallen. Es ist eine simple und funktionierende Lösung für die Kehrseite der Wege auf den drei verschiedenen Niveaus (Kraftfahrezeuge unten, Fahrräder eine Stufe höher, Gehwege eine weitere Stufe höher), nämlich dass man nicht so gut die Straßenseite wechseln kann.
In Darmstadt ist das anders. Auf der Heidelberger Straße beispielsweise fährt niemand gerne Rad, aber auch Autoparken ist eine Qual:
Die Lösung wäre wohl, die Parkspur komplett aufzugeben und den Belag in einen fahrradtauglichen Zustand zu bringen. Aber nicht nur dort, sondern überall und dann sind wir schnell bei der Frage, wer das bezahlen solle und von welchem Geld.
Ich würde deshalb gerne mal seriös und ohne Schaum vom Mund für Darmstadt ausgerechnet wissen, was man hier an Stelle der 200 Mio Euro teuren Nordostumgehung machen könnte, um die Kopenhagenisierung zu vollziehen. Richtig geplant und umgesetzt, würde entlang der Hauptrouten die ein oder andere Kfz-Spur inkl. Parkplätze wegfallen, aber mit ihr auch der motorisierte Verkehr. Das ist die wichtigste Lehre: Das Mobilitätsbedürfnis der Menschen bleibt immer da, wie es in Verkehr umgesetzt wird, bestimmen die angebotenen Wege.
Die Feinstaubwerte wären plötzlich in Ordnung, die Menschen sicher und ein Stück glücklicher unterwegs. Die allerwenigsten fahren heute gern Rad in Darmstadt, aber auch im Auto ist es nicht leicht. Also sollte man in Darmstadt, eine Stadt die in ihrer Bevölkerung wächst, aber ihre Grenzen nicht ausdehnen kann, alles daran setzen, dass die Menschen gerne zu Fuß gehen und das Fahrrad nutzen. Wie man es macht, sieht man leicht in Kopenhagen.
Heute Nachmittag war ich in der Innenstadt von Darmstadt, um ein paar Besorgungen zu machen. Wie immer fahre ich mit dem Rad über die Spreestraße in die Albert-Schweitzer-Anlage. Als ich an der Hindenburgstraße ankomme, bemerke ich, dass dort eine Baustelle eingerichtet ist, die ein paar Tage zuvor noch nicht da war. Mir war auch nicht bekannt, ob die Straße ähnlich wie einige andere in Darmstadt in den Ferien erneuert werden sollte. Tatsächlich war die Ampelanlage, die im Regelfall den Fußgängern eine Querung des 15 Meter breiten Fahrbahnprofils bieten soll, ausgefallen. Es waren mehrere Arbeiter und Fahrzeuge im Einsatz und ich umkurvte die Baustelle.
So weit, so banal. Auf dem Rückweg war zwischenzeitlich Feierabend und offensichtlich hatte es die Kolonne nicht geschafft, die Anlage vorher wieder in Betrieb zu nehmen. Ob sie vielleicht tatsächlich wieder funktionstüchtig war, aber ein bürokratisches Hindernis wie eine gesonderte behördliche Abnahme nötig ist oder Ersatzteile nicht verfügbar waren, soll an der Stelle nicht interessieren.
Meine Aufmerksamkeit war eher auf die Tatsache gelenkt, dass ich im Feierabendverkehr noch nie so schnell und einfach von der einen zur anderen Straßenseite wechseln konnte wie heute. Doch warum war das so?
Als behelfsmäßige Querungshilfe waren Baustellenabsperrungen um die Fußgängerfurt aufgebaut und die vierstreifige Straße auf einen Fahrstreifen pro Richtung verengt. Kraftfahrer mussten sich also einer nach dem anderen einreihen und zusätzlich war ein Tempolimit von 30 km/h beschildert worden. So entstand quasi eine Mittelinsel ohne zugleich eine Behinderung für Fußgänger und Radfahrer zu sein. Im Regelfall sind Inseln so ausgestaltet, dass man eine kleine Bordsteinkante überwinden und noch Ampel- und Schildermasten umkurven muss. Nichts in dieser Art heute: kein Drücken der Bedarfsampel und beim Warten im Sattel balancieren. Für die erste Etappe ein Blick nach links und in die Mitte; dann ein kurzer Blick nach rechts und weiter. Kein Auto musste großartig langsamer werden, niemand hat versucht noch bei Gelb drüber zu rauschen. Keiner musste wieder auf Grün warten, was passiert, wenn nur wenige Fußgänger die Straße queren. Und das alles aus einer improvisierten Lösung heraus.
Manchmal kann Verkehrsberuhigung so unaufgeregt und wirkungsvoll sein, dass sich keiner der Akteure bewusst ist, was er da eigentlich gerade geschaffen hat. Morgen, spätestens in ein paar Tagen darf dann wieder in beide Richtungen gerast werden und alle ohne Motor müssen an der Ampel ihren Bedarf anmelden. Quasi einen Antrag stellen, auch mal rüber zu dürfen.
Am Donnerstag war ich bei der Veranstaltung Kultur als Motor – Rheinstraßen-Entrée im Publikum. Leider bin ich etwas zu spät gekommen, da vorher noch Stupa-Sitzung war, in der ich einen Bericht abgegeben habe.
Kurzum, wurde auf dem Podium wie in der Publikumsrunde, in der auch viele Architekt*innnen saßen, eine Menge über die einzelnen Gebäude gesprochen. Sicher hat diese Diskussion einen Wert für sich, aber wer von einer Straße redet, sollte sich auch für die makroskopische Ebene und den Raum zwischen den Häusern interessieren.
Der öffentliche Bereich einer Straße ist der, in dem sich die Aufenthaltsqualität erfahren lässt und natürlich auch der, in dem Verkehr stattfindet. Und solange Verkehr in Darmstadt überwiegend motorisiert ist (vgl. sogar die Motor-Metapher im Titel der Veranstaltung), wird es nichts mit hoher Aufenthaltsqualität, da Lautstärke und Abgase alle Qualitäten beseitigen, die Kunst am Bau liefern kann.
Unter dem Titel Ride of Silence habe ich zusammen mit einigen Freunden und Kontakten aus der Darmstädter Radszene gestern eine Gedenkfahrt organisiert. Wir sind 10 km Strecke mit dem Rad abgefahren und hätten quasi an jeder Stelle anhalten können, um auf die gedankenlose Verkehrsführung für Radfahrer in Darmstadt hinzuweisen, die immer wieder für gefährliche Situationen sorgt. Da die Tour von der Polizei begleitet wurde, konnten alle sicher auf der Hauptfahrbahn unterwegs sein und mussten sich weder Konflikten mit der Infrastruktur noch mit Autofahrern hingeben. Auch die Fußgänger hatten ihren Raum, um die es mir immer besonders leid tut, wenn ein (benutzungspflichtiger) Radweg in den Gehweg gelegt wird.
Ghost Bike an der Ecke Landgraf-Georg-Straße/Fiedlerweg
Im November 2015 ist ein Radfahrer in Darmstadt überfahren worden, in ganz Deutschland waren es etwa 400. Eine Zahl, die mich nachdenklich macht, weil es doch gerade die Radfahrer sind, die sich für ein sozial wie ökologisch ausgewogenes Verkehrsmittel entscheiden und die planerische Vision der autogerechten Stadt in Frage stellen. Bewusst oder unbewusst stellen sie dieser den Entwurf einer menschengerechten Stadt gegenüber, in der Straßenverkehr ohne nennenswerte Gefahren, Schall- und Abgasemissionen Realität werden könnte. Unbestritten hat jeder Mensch den Drang zur Mobilität. In einer verdichteten Stadt sollte diese so behutsam und leise wie möglich verwirklicht werden, damit der öffentliche Raum keine bloße Transitzone, sondern auch für ein nettes Gespräch gut ist und hohe Aufenthaltsqualität bietet. Selbst für die Wirtschaft wäre es besser, weil Menschen mehr einkaufen, wenn sie gerne und oft in die Innenstadt kommen.
Kaum fand die Tour auf dem Karolinenplatz ihr Ende, brausten die Autos ungeduldig an uns vorbei und man hatte Schwierigkeiten das eigene Wort zu verstehen. Neben der Schweigeminute am Ghost Bike vielleicht der wichtigste Eindruck aus dem Ride of Silence.
Daniel arbeitet es wieder mal auf den Punkt genau heraus.
Meine letzten Erfahrungen mit Parkenden auf Radfahrstreifen in Darmstadt sind so verlaufen, dass „Du Hurensohn!“ noch die freundlichste Bemerkung ist, die mir Leute entgegen schleudern, wenn ich ein Foto von ihrem PKW auf der Radspur knipse.
Tätliche Angriffe, die von den Fotografierten kommen, sind zwar die Ausnahme, kommen leider auch immer wieder vor. Dabei sage ich nicht einmal mehr was. Schweigend nehme ich das Handy aus der Tasche, mache ein Bild und schiebe mein Rad dann um den PKW herum.
Auch schon vorgekommen ist, dass mich Autofahrer nach einem Foto wild hupend verfolgt und bedrängt haben, bis ich dann gemütlich in die nächste Fußgängerzone mit Radfahrer frei abgebogen bin.
Auf das Handy reagieren sie allergisch, steht doch die Möglichkeit im Raum, dass es Beweise für das asoziale Verhalten gibt. Ich mache die Bilder gar nicht, um jeden Falschparkenden individuell anzuzeigen. Es geht darum, um in Gesprächen mit der Stadtverwaltung einen Katalog zu haben. Es geht darum, die traurige Feststellung deutlich zu machen, dass die wenigen Wege für Radfahrer nutzlos sind, die die Planer eingezeichnet haben.
Was bleibt für dich zu tun? Morgen um 19:00 Uhr zur Critical Mass auf den Karolinenplatz kommen und wenigstens einmal im Monat sicher und zügig mit dem Rad unterwegs sein.
Letztes Jahr war ich vier Wochen lang auf der New York City Subway unterwegs. Das System bietet 24 Stunden, sieben Tage die Woche Verbindungen an. Die Bahnen sind in aller Regel mit sehr langen Garnituren unterwegs, die zehn Wagen umfassen.
Es ist erstaunlich, wie schnell man zu den Zügen kommt und auch die Bahnhöfe wieder verlassen kann, obwohl alle Passagiere ihre MetroCard bei den Stationskontrollen an den Drehkreuzen durchziehen und dann einzeln hindurch gehen müssen. Steile Treppen und relativ enge Durchgänge, machen die Reise zwar nicht überall barrierefrei, aber selbst in der Rushhour bleiben die New Yorker besonnen und es macht wirklich Spaß, in der Masse mitzuschwimmen. Man reist mit Leuten aus allen Schichten und mit unterschiedlichster Herkunft, hört nicht nur Englisch und Spanisch im Zug, sondern auch Touristen aus aller Welt und Bürger der Stadt, die sich in ihren Muttersprachen unterhalten.
Jedem fällt auf, dass die Bahnen, die Stationen und die Strecken alt sind. Aber wie alt, das kannst du in diesem Video der MTA sehen:
Hoffentlich bekommt es die öffentliche Hand hin, die Subway auf allen Strecken zu ertüchtigen (Fix & Fortify in der Marketingkampagne der MTA genannt). Denn ein Verkehrssystem dieser Größe ist kein Selbstzweck, sondern macht die Stadt erst zu dem, was sie heute ist: eine hoch verdichtete und bis in die Ränder verstädterte Metropole. Es gibt wenig Anreize, mit einem PKW in die Stadt zu fahren und so ergeben sich auf engstem Raum eine unglaubliche Abwechslung von Kultur, Wirtschaft, Parks und Sehenswürdigkeiten. So bequem ein Auto auf den ersten Blick erscheint, verbaut es in Masse die Möglichkeit, saubere Luft und viel Platz zur Naherholung zu bieten: Parkplätze statt Parks, gibt es überall da, wo das Auto den Ton angibt. Nur ergibt es wenig Sinn, einfach die Autos aus der Stadt zu drängen, ohne bessere Antworten auf die Mobilitätsbedürfnisse der Bewohner und Gäste zu geben. Vom High Line Park aus kann man die sich stapelnden Autos sehen.
Die Antwort in New York ist die MetroCard, eine Papierkarte mit Magnetstreifen. Das Trägermedium für die Fahrkarte kostet 1 $ und die monatliche Aufladung derzeit 116,50 $. Ein Stellplatz in Manhattan kostet mindestens das Dreifache und dann ist man noch keinen Meter gefahren. Doch wenn die Stadt nicht laufend investiert, türmen sich nach und nach Altlasten auf, deren Aufarbeitung Jahrzehnte braucht, um mit dem Bevölkerungswachstum Schritt zu halten. So kostet der Betrieb der Bahn derzeit nicht nur mehr als er mit zeitgemäßer Technik würde, sondern auch die Kapazitätsgrenzen sind viel schneller erreicht. Mehr als zehn Wagen passen nicht an einen Bahnsteig und mit starren Blöcken kann man auch nicht mehr Züge fahren lassen als nach dem Stand der Technik möglich wäre.
Eine weitere Antwort, die man von der High Line aus sehen kann, ist der enorme Raum auf den Straßen. Natürlich sind die Straßen zu manchen Stunden extrem belegt, aber man sieht ganz deutlich, dass es noch genügend Platz für Radfahrstreifen gibt. Menschen die Möglichkeit zu geben, sicher und zügig mit dem Rad von A nach B zu kommen, wäre die günstig, kurzfristig und mit ein bisschen Farbe zu erreichende Antwort auf die Frage: fährst du noch oder stehst du schon im Stau?