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Hands on Groningen

Übers Wochenende bin ich spontan nach Groningen gereist. Die nordniederländische Stadt hat rund 200 000 Einwohner und wird von einem vergleichsweise jungen Altersschnitt bewohnt. Rund ein Viertel der Einwohner studiert nämlich an der Reichsuniversität oder der Fachhochschule. Damit ist die Stadt dem 500 km entfernten Darmstadt recht ähnlich, wo auf 155 000 Einwohner über 40 000 Studierende kommen.

Schaut man allerdings genauer hin, fällt auf, dass die historische Altstadt Groningens noch gut erhalten ist, während in Darmstadt im zweiten Weltkrieg nahezu jedes Gebäude der Innenstadt zerstört wurde und der Wiederaufbau bei weitem nicht so kleinteilig erfolgte.

Der gewaltigste Unterschied ist allerdings, welchen Stellenwert das Fahrrad als Verkehrsträger hat. Der zuständige Dezernent Paul de Rook findet, dass der heutige Anteil von 60 % noch erheblich gesteigert werden müsse. Bei Visionen und Zielen scheint es in der Politik viel stärker auf den jeweiligen Ausgangspunkt als auf absolute Werte anzukommen.

Für mich ist der hohe Radverkehrsanteil nicht auf einen kulturellen Unterschied zurückzuführen, sondern schlicht das Ergebnis kluger Verkehrsplanung. Zum einen werden in Groningen viele Straßen in der Innenstadt dem Kraftverkehr nicht zugänglich gemacht und gleichzeitig an jeder größeren Straße eine ausgezeichnete Führung für den Radverkehr angeboten. Ein Zweiklang aus Verboten und Einladungen führt zum Ziel, manche sagen auch push and pull.

Baulich angelegte Radwege
Groningen setzt an den Hauptverkehrsstraßen auf baulich angelegte Radwege. Häufig gibt es je einen Weg pro Fahrtrichtung. Die Wege sind immer so breit ausgeführt, dass man problemlos einander überholen kann oder bei geringem Radverkehrsaufkommen gemütlich nebeneinander herfährt, wenn man sich unterhalten möchte. Selbst dann ist vorsichtiges Überholen an vielen Stellen möglich, es passen also auch mal drei Radler nebeneinander, wenn es sein muss.

An manchen Stellen gibt es auf einer Straßenseite auch einen Zweirichtungsradweg. Dieser wird dann meist mit einem Einrichtungsradweg auf der anderen Straßenseite ergänzt. So ergeben sich für den Radverkehr viele praktische Verknüpfungen und man trifft keine Geisterradler. Vermutlich wurde an vielen Stellen das tatsächliche Verkehrsgeschehen beobachtet und wo möglich in legale Formen umgewandelt.

In Deutschland sind Zweirichtungsradwege stark umstritten, da man ein erhöhtes Unfallrisiko an Knotenpunkten registriert. Vor allem an Grundstücksfahrten achten Verkehrsteilnehmer im Auto verstärkt auf den Radverkehr zu ihrer Linken und übersehen schnell den von rechts kreuzenden Radverkehr. In der Niederlanden scheint dieses Problem nicht so stark aufzutreten. Es könnte daran liegen, dass die Grundstücksausfahrten in der Regel so angelegt sind, dass man mit dem Auto nicht auf dem Radweg zum Stehen kommt, sich also in Ruhe nach beiden Seiten umschauen kann, ohne jemanden zu behindern. Außerdem werden die meisten Straßen für deutsche Verhältnisse vergleichsweise langsam befahren und so kommt auch keine Eile auf, wenn man gleichzeitig auf eine ausreichend große Lücke im Rad- als auch im Kraftverkehr wartet.

Die Radwege sind in aller Regel asphaltiert und durchgängig rot eingefärbt. Prof. Ineke Spapé von der NHTV Breda beschrieb die rote Einfärbung auf dem 2. Hessischen Nahmobilitätskongress so, dass man selbst als Betrunkener leicht erkennt, wo man Radfahren soll bzw. wo man mit Radfahrern rechnen muss. Eine sehr treffende und nah an der Realität laufende Einschätzung. Die Infrastruktur ist also so leicht zu erfassen, dass sie Unzulänglichkeiten der Nutzer ein Stück weit ausgleicht. Natürlich soll dies keine Einladung sein, under the influence zu fahren, aber der Punkt wird, denke ich, klar.

Die Radwege sind vom Fußverkehr immer über einen Bordstein getrennt. Manchmal hat dieser wie in Deutschland einen 90°-Winkel, an manchen Stellen ist es auch eine kleine Rampe unter 45°. Die Fußgänger laufen entsprechend erhöht über dem Radverkehr. Auch dies hat nach Spapé mit Respekt zu tun. Niemand hat Lust, von Radfahrern weggeklingelt zu werden und als Radfahrer hat man ebenso keine Freude am Fahren, wenn man ständig andere umkurven muss. Die Radwege sind in Groningen in den allermeisten Fällen auf dem selben Niveau wie die Fahrbahn, das macht die Führung an abgesenkten Bordsteinen nicht zur Berg-und-Tal-Fahrt und schafft nebenei die nötige Aufmerksamkeit für alle beteiligten. Fußgänger bleiben instinktiv stehen, wenn sie an eine Stufe gelangen und neigen nicht dazu, aus Versehen auf den Fahrradweg zu mäandern. Eine Linie ist hingegen schnell auch unbemerkt geschnitten.

Auf der anderen Seite ist der Radweg wieder mit einem Bordstein begrenzt. Dieser fasst den Sicherheitstrennstreifen zum Kraftverkehr ein. Manchmal ist dieser Trennstreifen recht schmal, ein anderes Mal begrünt. Da man sich also zwischen zwei Bordsteinen befindet, ist es enorm wichtig, dass der Weg wie beschrieben breit genug ist, dass man leicht und sicher überholen kann. Jeder Radfahrer hat nach Tagesform und davon abhängig, ob er alleine oder in der Gruppe unterwegs ist, eine andere Idealgeschwindigkeit und keiner muss dem anderen ungeduldig hinterher fahren oder sich unter Druck setzen lassen.

Hier kommt wieder ein entscheidender Unterschied zu Deutschland zu Tage. Hierzulande wird das Minimalmaß von 1,50 m (Rdnr. 18ff. VwV-StVO) häufig als Regelmaß missverstanden und stellenweise sogar noch unterschritten. Dazu kommt die lebensferne Vorgabe: „Mit Fahrrädern muss einzeln hintereinander gefahren werden“ (§ 2 Abs. 4 S. 1 StVO).

Ist das Autoparken neben Radwegen erlaubt, stehen die Autos in der Regel links vom Radweg. Das hat mehrere Vorteile. Die stehenden Autos bilden einen zusätzlichen Puffer gegen den Kraftverkehr. Man fühlt sich sicherer. Ich finde es wichtig, auf die subjektive Sicherheit einzugehen, weil diese ja entscheidet, ob man sich selbst aufs Rad traut. In Deutschland wird gelegentlich recht abschätzig nur auf die objektive Sicherheit abgestellt und die Ängste der Nutzer kleingeredet. Fahr auf der Fahrbahn, mach vehicular cycling, da passiert dir nix! Stimmt, ist aber scheiße unangenehm. Macht meine Oma nicht, und wenn ich mal ein Kind habe, macht es das auch nicht, wenn es noch klein ist. Die Oma fährt aber in Groningen:

Zweitens gibt es so by design keine Standardsituation, in der ein ein- oder ausparkender Wagen den Radweg kreuzt. Man hat als Autofahrer ja auch nur zwei Augen und muss unter Umständen ein bisschen hin- und herlenken, da stören Radfahrer ungemein. Und es soll soll ja sogar Autofahrer geben, die auf einem Radweg halten und warten, bis ein Parkplatz frei wird oder der Beifahrer auftaucht, den man abholen will. Gerne auch mal 10 Minuten lang. Ist hier einfach baulich ausgeschlossen und dann kommt man auch auf keine dummen Ideen.

Der dritte wichtige Punkt ist, dass Autos immer mindestens einen Nutzer hinter dem Lenkrad haben, wenn sie gerade abgestellt oder gestartet werden. Dieser steigt dann logischerweise durch die Fahrertür auf der linken Fahrzeugseite ein und aus. Wird er auf den nachfolgenden Verkehr achten? Natürlich, er will ja seine Tür behalten. Und wie öffnet man in den Niederlanden eine Autotür, wenn man aussteigt? Man nutzt den Dutch reach. Dann passiert auch nichts, wenn die Führung doch mal so angelegt ist, dass Autos rechts von einem Schutzstreifen parken.

Hater werden jetzt noch einwenden, dass Beifahrer ja noch unaufmerksamer als Fahrer sind, vor allem wenn es um Kinder geht. Mag sein, aber bedenke: Die meisten Autos sind schwach besetzt, es gibt Kindersicherungen, es gibt Sicherheitstrennstreifen und die Radwege sind auch nicht so schmal, dass man sofort stirbt. Die Infrastruktur verzeiht hier einige Bedienfehler. Und ja, die Parkstreifen enden rechtzeitig vor der nächsten Kreuzung, Sichtbeziehung vorhanden.

Schutzstreifen
Manche Querschnitte erlauben es nicht, baulich abgetrennte Radwege anzulegen, wenn man den Kfz-Verkehr nicht völlig ausschließen oder nur in einer Richtung zulassen möchte. Hier kommen dann die genauso aus Deutschland bekannten Schutzstreifen zum Einsatz. Auch diese werden meist durchgängig rot eingefärbt. Sogar außerorts finden sich Schutzstreifen, die Kernfahrbahn wird dann in der Regel ohne weitere Linien ausgeführt. In Deutschland traut man sich an das Thema außerorts noch nicht wirklich heran, es gibt nur Modellversuche.

Schutzstreifen sollten meiner Meinung nach allerdings nur eingesetzt werden, wenn die Kfz-Verkehrsstärke gering und die Ausgestaltung der Straße durch ihren baulichen Gesamteindruck nicht dazu einlädt, mit dem Auto besonders schnell zu fahren. Andernfalls muss man sehen, wie man den Kraftverkehr beruhigt oder gerade außerorts eigene Radwege anlegen. Die Planung muss sich dabei immer an denen orientieren, die das Rad aus pragmatischen Gründen und nicht aus einer Ideologie heraus als Verkehrsmittel wählen. Wer sich auf einer Straße nicht sicher fühlt, wird diese meiden und wenn er häufig in subjektiv gefährliche Situationen kommt, das Radfahren ganz einstellen.

Schutzstreifen werden in einer Wohnstraße auch von Kindergruppen gerne angenommen und wenn nötig ein bisschen überdehnt. Passieren tut trotzdem nix.

Stadtstraßen ohne Autoverkehr

Abseits der getrennten Führung von Kraft- und Radverkehr nebeneinander, gibt es in Groningen auch Stadtstraßen, die abgesehen von Einsatzfahrzeugen und Stadtreinigung ganz ohne Kraftverkehr auskommen. Die Fußgänger haben herkömmliche Gehwege auf beiden Seiten, die Radfahrer nutzen die Fahrbahn alleine. Auch hier ist die Trennung wieder für die Bequemlichkeit auf beiden Seiten wichtig. Es sollte allerdings noch stellenweise mehr in Zonen zum Fahrradparken investiert werden, damit die eigentlich breiten Gehwege nicht durch die Fülle von Rädern verstellt werden.

Stadtstraßen mit Autoverkehr

Auf Stadtstraßen, auf denen schneller Autoverkehr unterwegs ist, aber auch Erschließungsfunktionen wichtig sind, wird manchmal auf einen eigenen Radweg verzichtet und sehr langsamer Autoverkehr im Seitenraum in den Radverkehr gemischt. Solange sich diese Führungsform in Grenzen hält und nicht überall so ist, ist auch das gut verträglich.

Manchmal sind es die Kleinigkeiten, bei denen man merkt, dass an alles gedacht wurde. Hier wird die Fahrbahn einer Nebenstraße weiter untergliedert.

Das sieht nicht nur schön aus, es hilft auch, den Autoverkehr zu verlangsamen, ohne den Radverkehr zu stören. Die Radfahrer fahren auf dem ebenen Pflaster ohne große Vibrationen. Ein Autofahrer, der seine Garage ansteuert, nimmt nicht eine Fahrbahn für sich alleine wahr, sondern vielmehr zwei Radwege, die durch das Kopfsteinpflaster getrennt sind und er auf diesen zu Gast ist. Die Gestaltung erinnert auch an einen Feldweg und auf dem fährt man ja schon aus Eigennutz langsam.

Radschnellwege

Ebenso selbstverständlich sind Radverkehrsanlagen, die wir in Deutschland als Radschnellwege klassifizieren würden. Wie immer asphaltiert und rot eingefärbt verbinden sie ohne weitere Verkehrsarten die Vororte mit der Kernstadt und werden allenfalls von Gehwegen ergänzt. Die Strecken sind beleuchtet und an Knotenpunkten mit Vorrang geführt. Kleine Details wie Drive-by-Mülleimer zaubern dem Pendler, der seinen Kaffee ganz unökologisch aus einem Einwegbecher während der Fahrt trinkt, und den nun wieder loswerden muss, ein Lächeln aufs Gesicht, bevor es an die Arbeit geht.

Damit Radfahrer auch an ihrer eigene Verantwortung erinnert werden, dämpft man die Geschwindigkeit am Knoten trotzdem gelegentlich ein bisschen herunter. Diese Rampenfolge lässt sich mit 15 km/h noch bequem fahren.

Absurde Querschnitte im Park
Einen kurzen Moment wollte ich meinen Augen nicht trauen. Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass man in einen Park derart breite Fahrradstraßen bauen kann, ohne dass die Parkqualität leidet. Im Gegenteil: Langsames Flanieren und schnelles Fahren und Spielen und was es sonst so gibt, das geht auch alles zusammen:


Natürlich bekommen auch die Fußgänger wieder eigene Wege angeboten. Das Trennungsprinzip ist wie überall stark ausgeprägt.

Knotenpunkte
Neben den Strecken sind die Knoten enorm wichtig, um Radfahren einfach, bequem und sicher zu machen. Es gibt verschiedene Führungsformen, ich fange mit den Langweiligen an.

Zum Standardrepertoire gehören die auch in Deutschland bekannten aufgeweiteten Aufstellflächen an Knoten mit Lichtsignalanlage (Ampel). Meistens kommen diese in Verbindung mit Schutzstreifen zum Einsatz und dienen wie immer dazu, den Radverkehr beim Warten an die erste Stelle zu rücken, das Linksabbiegen zu vereinfachen und die ganze Gruppe aus den Abgasfahnen heraus und in den Sichtbereich der Rechtsabbieger-Kfz zu bringen.

Auch Fahrradweichen bei getrennten Spuren fürs Rechtsabbiegen entschärfen die tödliche Falle, wenn LKW rechts abbiegen und Radfahrer geradeaus wollen.

So, und jetzt geht’s im Dutch style weiter.

Freies Rechtssabiegen
Es sind im wesentlichen zwei verschiedene Arten von freien Rechtsabbiegern für Radfahrer in Groningen zu finden. Da, wo der Platz ausreicht, trennt sich der Radweg in einen freien Rechtsabbieger, der allenfalls auf Fußgänger achten muss und eine gewöhnliche Haltlinie mit Signalgeber für geradeaus.

Wo man nicht genügend Raum für die Musterlösung hatte, wird das Rechtsabbiegen per Zusatzzeichen angeboten.

In beiden Fällen kann man das machen, wofür man in Deutschland regelmäßig hysterisches Hupen aus dem Auto neben/hinter einem oder einen Punkt in Flensburg erntet, wenn die Rennleitung zugegen ist. Da rechts abzubiegen, wo es die Verkehrslage ohne Probleme erlaubt und die Straßenverkehrsbehörden noch keine eigenen Signalgeber mit Grünpfeil für Radfahrer aufstellen.

Rundumgrün

Rundum-was? Grün für alle Radler aus allen Richtungen gleichzeitig! Mal schnell diagonal über die Kreuzung fahren oder geradeaus oder rechts oder U-Turn. Die Kreuzung gehört für einen kurzen Moment den Radfahren alleine. Das macht Laune und ist trotzdem sehr sicher. Einziger Nachteil: Man muss gelegentlich länger warten, weil natürlich auch die anderen Fahrbeziehungen eigene Zeiten brauchen. Doch wie lange genau? Ein Blick auf das gelbe Stäbchen, das immer kürzer wird, genügt. Und ich glaube, die Niederländer machen es mit Absicht so, dass es sogar einen Moment früher grün wird als erwartet. Ist der Streifen im unteren Achtel angekommen, verschwindet er plötzlich und es ist grün. So braucht keiner ungeduldig zu werden, um mit „quietschenden Laufrädern“ loszudüsen.

Planfreie Querungen

In Groningen gibt es planfreie Querungen von Autobahnen und ähnlich ausgebauten Straßen. Ganz easy, in der selben Ebene wie vorher und mit Sichtbeziehung zum anderen Ende des Tunnels. Die Kraftfahrzeuge fahren die Steigung und das Gefälle, die eigenen Oberschenkel werden geschont. Auch mal zwei Querungen mit leicht unterschiedlichen Zielen, damit man keine komischen Haken schlagen muss. Danke dafür!

Kreisverkehre

In Deutschland sind Schutzstreifen im Kreisverkehr des Teufels. In den Niederlanden macht man es und es funktioniert.

Man baut aber trotzdem viel lieber eigene Radwege um den Kreisverkehr herum, vor allem wenn dieser nur drei Arme hat, kann man an der freien Seite wunderbar einen Weg vorbei führen, der sowieso schon in zwei Richtungen unterwegs war.

Ach ja, man macht sogar stellenweise Zweirichtungsverkehr unmittelbar am Kreisverkehr, der einen Arm kreuzt.

Vorgestreckte Gehwege
Fußgänger sollen gerade in der Innenstadt durchgängig gehen können. Es wäre ja schon komisch, wenn man an jeder unbedeutenden Nebenstraße hunderte Fußgänger pro Stunde eine Stufe runter und wieder hochgehen zu lassen. Also zieht man die Gehwege einfach weiter und ordnet den Kraftverkehr unter, wenn es denn überhaupt welchen gibt.

Knoten im Allgemeinen
Mir fällt auf, dass es wirklich eine Vielzahl von Knotentypen gibt. Mal hat der Radverkehr Vorrang, ein anderes Mal der Kfz-Verkehr. Es gibt sogar Situationen, wo der Radverkehr auf dem Papier keinen Vorrang hat, aber direkt neben ihm ein Zebrastreifen entlang geführt wird, was wirklich ein bisschen komisch ist.

Aber: es funktioniert. Ich bin alle Konten gefahren und es hat immer gut geklappt. Denn entscheidender als die Vorfahrt sind die Sichtbeziehungen und die gegenseitige Wahrnehmung. Und die bekommt man über zwei bis drei Grundregeln.

Kreuzungspunkte laufen quasi immer in einem Winkel von 90° aufeinander zu, man hat perfekte Sicht in alle Richtungen, egal ob man im Auto sitzt oder auf dem Rad. Die Vorfahrtregel wird durch Markierungen auf der Fahrbahn unterstrichen und weil Radwege per default rot sind, sind sie es auch bei (bevorrechtigter) Querung über den Konten drüber.

In Deutschland steigt der Adrenalinspiegel dagegen an jeder zweiten Grundstücksausfahrt oder wenn man einfach nur gerade aus will und einen LKW neben sich hat, der ja doch noch auf die Idee kommen könnte, nach rechts zu ziehen.

Protected Intersection

Neben den vielen Details muss ich noch auf eine weitere Sache eingehen. Abbiegeradien werden für Kfz mit kleinen, man könnte sagen mandelförmigen erhabenen Elementen so verändert, dass man quasi zwangsläufig langsam um die Kurve fahren muss, den Radler nicht schneiden kann und ihm dann schließlich wieder unter 90° begegnet.

Details
Ebenso ist mir aufgefallen, wie das Ende eines Fahrstreifens für Kfz ausgearbeitet wurde:

Die kleine gesperrte Fläche am Ende verzeiht eine kurze Unachtsamkeit und ersetzt ein bauliches Element, um auch größeren Fahrzeugen bei Bedarf das Abbiegen in und aus dem Grundstück zu ermöglichen.

Querungen von Gewässern

In den Niederlanden gibt es eine Menge verschiedener Gewässer und diese stellen Trotzdem kein großes Hindernis für den Radverkehr da. Wie bei den regulären Strecken gibt es verschiedene Formen von Brücken mit getrennter Radverkehrsführung, manchmal mit Schutzstreifen. Besonders cool finde ich die Idee, den Fußgängern an dieser Drehbrücke zusätzlich auf jeder Straßenseite eine eigene höher gelegene Verbindung anzubieten, die bei der Durchfahrt gewöhnlicher Schiffe nicht unterbrochen werden muss. Für ganz eilige Radfahrer gibt es Schieberinnen, die ihr Rad dann schnell auf die andere Seite schieben können. Meistens ist man dafür aber zu entspannt bei der Sache, wartet lieber ab und schaut den Schiffen zu.

Fahrradparken

Es erstaunt mich immer wieder, dass in den Niederlanden genauso wie in Kopenhagen noch recht viele Felgenklemmer im Einsatz sind. In Deutschland scheint man da an einigen Stellen schon weiter zu sein. Jedenfalls stehen an meiner Uni wie auch an vielen Punkten in Darmstadt mittlerweile wirklich gute Bügel, an denen man den Rahmen anschließen kann. Gute Abstellanlagen sind die Kirsche auf der Sahne. Man darf allerdings nicht vergessen, dass Kuchen auch ohne Topping schmeckt. Und der Kuchen, das sind die Strecken und die Knoten, die ich zuvor beschrieben habe. Wenn man kein Stück vom Kuchen abbekommt, sehen zwar die Abstellanlagen schick aus, die man für vergleichsweise wenig Geld schnell in einer Stadt bringen kann, den Radverkehr bekommt man damit nicht richtig aufgebaut. Denn: im Zweifel parkt man sein Rad da, wo Platz ist.

Und wenn der Platz beschränkt ist?
Dann baut man in Groningen ein Fahrradparkenhaus der Extraklasse vor den Hauptbahnhof.

Doppelstock? Klaro. Beleuchtet? Jupp. Bewacht? Natürlich. Beim Reinfahren absteigen? Ich bitte dich. Kleiner “Kreisverkehr” in der Mitte? Ein bisschen Spaß muss sein.


Was kostet das den Nutzer? Nix!

In Darmstadt? Vom Grundsatz her auch super, mit großem kostenlosen Parkfeld draußen und kostenpflichtigem überdachten Parkhaus mit unmittelbaren Zugang zum Gleis. Leider ist dieser Zugang in letzter Zeit dauerhaft offen und die zahlenden Nutzer laufen weg. Das Vertrauen muss man sich hier noch neu verdienen.

Kraftverkehr in Groningen
Eigentlich könnte man mit dem Bericht fast schon aufhören, aber da wäre noch eine Sache. Ich habe eingangs erwähnt, dass man eine Fahrradstadt aus zwei Komponenten baut, den Einladungen für die Radfahrer und den Verboten für den Kraftverkehr.

Verbot Nr. 1: Parken im Allgemeinen einschränken
Es gibt sehr wenige Parkplätze in der Innenstadt. Das macht es schon mal ziemlich sinnlos, in diese mit dem Auto zu fahren.

Verbot Nr. 2: Kostenloses Parken abschaffen
Die meisten Parkplätze sind bewirtschaftet, da wird Parken ein teurer Spaß. Und die Verkehrsüberwachung ist auf dem Rad unterwegs, findet also jeden Wagen ohne Parkschein.

Verbot Nr. 3: Straßen sperren
Viele Straßen sind für den individuellen Kraftverkehr gesperrt. Keine Straße, kein Verkehr. Ganz einfach.

Verbot Nr. 4: Zwischen den Sektoren fahren
Um von einem Stadtviertel in ein anderes zu gelangen, muss man mit dem Auto über den Ring fahren. Das dauert. Das nervt. Case closed.

Denkt auch jemand an den Einzelhandel?
Lieferzonen? Vorhanden.

Lieferzeiten beschränkt? Ja, danke!

Aber die Stadt stirbt doch, wenn keiner mehr reinfahren kann. Ja, Gronigen ist tot. Läden alle pleite.

Märkte ausgestorben.

Nicht.