Baustellen in Theorie und Praxis

Darmstadt ist in der Theorie gut aufgestellt, wenn es um die Frage geht, wie man als Fußgänger oder Radfahrer durch eine Baustelle geführt wird. Die Stadt hat dazu einen eigenen Leitfaden herausgegeben. Auf 40 Seiten wird erläutert, wie man bei Baustellen im Seitenraum vorgeht, um den Rad- und Fußverkehr sicher abzuwickeln.

Der Leitfaden erklärt mit vielen anschaulichen Plänen die Grundsätze, wie man Notwege anlegt, worauf man achten muss und geht auf Details wie die Anrampung von Bordsteinen ein. Der Leitfaden liest sich ganz ausgezeichnet und schließt damit ab, dass man die Umsetzung der Verkehrszeichenpläne vor Ort überprüfen sollte.

In der Praxis passiert so gut wie nichts davon. Bringt man Mängel bei der Stadtverwaltung vor, erhält man in der Regel keinerlei Antwort. Wie ich allerdings immer wieder feststelle, wird jede E-Mail gelesen, die man an die Stadt richtet. Fragt man dann nach, warum man keine Antworten erhält, wird regelmäßig auf Personalmangel verwiesen und dass es sehr schwierig sei, die Informationsflüsse von allen beteiligten Stellen zu bündeln und das Ergebnis dem Bürger mitzuteilen. Das mag nicht ganz falsch sein, aber es ist vermutlich auch Teil der Wahrheit, dass man sich sehr schwer damit tut, Fehler einzugestehen. Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Wo Fehler passieren, geraten Fußgänger und Radfahrer schnell in besondere Gefahren. Ganz nebenbei braucht man sich auch langfristig nicht zu wundern, wenn Verkehrsteilnehmer die Regeln nicht ernst nehmen, wenn die Verwaltung diese nur sehr zaghaft umsetzt.

Ich bin mittlerweile in einem ganz guten Rhythmus angelangt. Sehe ich eine schlechte Baustelle, mache ich ein Foto mit der Allzweckwaffe (Smartphone), tippe drei Zeilen dazu und schicke es noch an Ort und Stelle an die Verwaltung.

Ein gutes Beispiel ist hier die Baustelle auf der Landgraf-Georg-Straße, die aktuell auf Höhe der Merckstraße eingerichtet ist.

Die Landgraf-Georg-Straße ist die als B 26 klassifizierte Ortsdurchfahrt von Osten und von Grundstückskante zu Grundstückskante etwa 25 m breit. An manchen Stellen ist sie nochmal erheblich aufgeweitet, um die Gehwege, schmale Radwege (ohne Benutzungspflicht und mit miserablem Asphaltbelag), vier Fahrstreifen für Kraftfahrzeuge, zwei Busspuren und zum Teil noch Parken auf der Fahrbahn aufzunehmen. Auf einer solchen Achse ist es offensichtlich, dass Fußgänger und Radfahrer besonderen Schutz brauchen.

Aber nicht offensichtlich genug für die Stadtverwaltung oder den Bauherren, der dort an einem Verteilerkasten und unter dem Gehweg arbeitet. In einer ersten Iteration sah die Baustelle so aus. Das Bild hat mir ein Freund zugeschickt:

Landgraf-Georg-Straße, 27. November 2017

Der eigentliche Gehweg war vollständig gesperrt, Fußgänger und Radfahrer sollten sich etwa 1,40 m teilen und Radfahrer verpflichtet werden, durch diese Engstelle zu fahren. Der Radweg hat dort seit Jahren keine Benutzungspflicht mehr und wurde durch das Zeichen 240 („gemeinsamer Geh- und Radweg“) wieder benutzungspflichtig gemacht. Was für ein Unsinn, Radfahrer rechtlich gesehen in eine Engestelle inkl. Fußgänger zu lenken, wenn mehr als 6 m Fahrbahn mit zwei Fahrstreifen bergab genutzt werden können.

Ich habe mich daraufhin an die Stadt gewendet und keine Antwort auf meine E-Mail erhalten. Ein paar Tage später war die Baustelle weg und ich habe den Fall für mich abgehakt.

Am 12. Dezember ist die Baustelle dann wieder aufgetaucht, allerdings diesmal ohne Zeichen 240.

Landgraf-Georg-Straße, 12. Dezember 2017

Die Situation mag auf den ersten Blick gleich wirken, hat nun aber ganz andere Bedeutung. Der Radweg ist ja ohne Benutzungspflicht, dennoch ist er ein Sonderweg für Radfahrende. Man darf dort z.B. nicht laufen oder parken. Für regeltreue Fußgänger wäre hier also Schluss, in der Realität laufen sie dann natürlich auf dem Radweg weiter und bringen sich und den nachfolgenden Radverkehr in Gefahr, weil man wiedermal nicht an Leute mit zwei Beinen, sondern nur an welche mit vier Rädern gedacht hat.

Jetzt reichte mir das Schlamassel endgültig und ich habe wieder eine kurze Mail an die Stadt geschrieben, aber diesmal explizit auf ihren eigenen Leitfaden hingewiesen und einen Notweg gefordert.

Heute sieht es jetzt so aus: Die Baustelle wird rechtzeitig angekündigt und dem Kfz-Verkehr ein Fahrstreifen weggenommen.

Landgraf-Georg-Straße, 19. Dezember 2017

Unmittelbar vorm Einfädeln schützt eine unübersehbare beleuchtete Warntafel auf einem Anhänger den Rad- und Fußverkehr.

Landgraf-Georg-Straße, 19. Dezember 2017

Der Fußverkehr kann vollkommen bequem durch die Baustelle laufen. Es ist etwas unklar, ob der Weg auch für Radfahrende gedacht ist. Manche fahren durch, andere fahren außenrum.

Landgraf-Georg-Straße, 19. Dezember 2017

Am Ende geht es wieder auf den Bordstein hoch, die Kante lässt sich mit Kinderwagen, Rollstuhl und ggf. Fahrrad ohne Absteigen überwinden.

Landgraf-Georg-Straße, 19. Dezember 2017

Die Stadt Darmstadt kann, wenn sie will. Nur will sie nicht immer oder hat Wichtigeres zu tun. Naja, dann mache ich ihr weiter Druck.

Manchmal werde ich gefragt, ob ich zu viel Zeit hätte. Nein, eigentlich habe ich wirklich schönere Dinge im Leben vor. Aber dieses Leben kann schnell zu Ende sein, wenn man der Stadt ihre Schlamperei bei der Verkehrsführung durchgehen lässt.